Das Kind, die Gase und der Flow

Prof. Dr. med. Jan A. Baum
Krankenhaus St. Elisabeth-Stift, Damme
 

Die Kinderanästhesie ist für den klinischen Praktiker immer eine gewisse Herausforderung: Oft sind die Reaktionen der kleinen Patienten bei Prämedikation, Einleitung und Ausleitung nicht so verläßlich vorauszusagen, wie in der Erwachsenenanästhesie. Deswegen ist dies auch ein Bereich, wo gut beherrschte und damit sichere Arbeitsroutinen nur ungerne zu Gunsten neuer Techniken aufgegeben werden. Es ist noch nicht lang her, daß Inhalationsnarkosen bei Kindern bis zum Alter von etwa 2-3 Jahren nahezu ausschließlich mit Nicht-Rückatemsystemen durchgeführt wurden, wobei in Deutschland vorrangig das Kuhn-System (ein flowgesteuertes Nicht-Rückatemsystem: Typ Mapleson F) eingesetzt wurde. Als vorteilig galten die Handlichkeit, der einfache technische Aufbau, die geringen Strömungwiderstände und der geringe Totraum dieses Systems. Die Nachteile, wie der hohe Narkosegasverbrauch, die Unmöglichkeit, die Atmung exakt zu überwachen, die fehlende Narkosegasklimatisierung und die hohe Arbeitsplatzbelastung mit Narkosegasen haben letztlich doch zu einem Umdenken geführt. Heute werden auch in der Kinderanästhesie überwiegend Rückatemsysteme, das Kreissystem, eingesetzt.  Als nachteilig werden noch immer die technische Komplexität dieses Systems, möglicherweise erhöhte Strömungswiderstände und ein erhöhter Totraum ins Feld geführt. Für sehr kleine Patienten stehen leichte Schlauchsysteme mit niedrigem Querschnitt und verkeinerte Übergangsstücke zur Verfügung. Die Vorteile der Rückatmung, wie der verminderte Gas- und Narkosemittelverbrauch, die bessere Anfeuchtung und Anwärmung der Narkosegase und die verminderte Arbeitsplatzbelastung mit Narkosegasen werden aber nur dann realisiert, wenn mit niedrigem Frischgasfluß gearbeitet wird. Bei Niedrigflussnarkosen beträgt die Rückatemfraktion zumindest 50%, was mit den Techniken der Low Flow - und der Minimal Flow Anästhesie bei Erwachsenen sicher realisiert wird.  Es gilt aber zu bedenken, daß der Gesamtgasuptake der kleinen Patienten erheblich geringer ist als der eines Erwachsenen. In der Erwachsenenanästhesie ist bei einem Frischgasflow von 500 mL/min der Überschußgasanteil schon extrem niedrig, und die Rückatemfraktion entsprechend hoch.  Wegen der niedrigen Gasaufnahme eines Kindes ist aber - in Abhängigkeit vom Körpergewicht - bei einem Frischgasflow von 500 mL/min der Überschußgasanteil gegebenfalls erheblich höher, so daß die Rückatemfraktion entsprechend gering ausfällt. Dies wird besonders beim Verzicht auf Lachgas deutlich: Selbst unter Beatmungsbedingungen kann bei der Narkose an Kindern mit einem Gewicht bis 20 kg der Frischgasflow gar auf Werte um 100 mL/min vermindert werden. So niedrige Flows sind natürlich nur dann zu realisieren, wenn die Verbindung zwischen Atemsystem und Atemwegen entsprechend dicht ist. Zu den Vorurteilen gegenüber der Niedrigflussnarkose in der Kinderanästhesie gehört aber vor allem auch die Annahme, die Verbindung mit dem Atemsystem sei nicht hinlänglich dicht zu gestalten. Bei korrekter Auswahl der Größe ist eine adäquate Dichtigkeit mit Endotrachealtuben ohne Dichtungsmanschette oder bei Einsatz der Kehlkopfmaske jedoch zu realisieren. Gerade beim Einsatz der neuen Inhalationsanästhetika Sevofluran und Desfluran kann die adäquate Nutzung der Rückatmungstechnik, selbst bei relativ kurzdauernden Eingriffen zu nennenswerten Kosteneinsparungen führen. Dabei ist die Durchführung von Niegrigflussnarkosen gerade in der Kinderanästhesie im Vergleich zur Erwachsenenanästhesie eher einfach: Bei gleichem Frischgasflow  ist der Überschußgasanteil größer, die Gefahr eines Gasvolumenmangel vermindert, die Zeitkonstante des Systems kürzer und die Differenz zwischen Frischgaszusammensetzung und der Zusammensetzung des Narkosegases im Atemsystem geringer.

Literatur:
Meakin GH. Low-flow anaesthesia in infants and children. Br J Anaesth 1999; 83: 50-57
 

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