Low Flow Anästhesie mit und ohne Lachgas

Jan A. Baum


Der routinemäßige Einsatz von Lachgas als Bestandteil des Trägergases bei Durchführung von Inhalationsnarkosen wird heute übereinstimmend in allen diesem Thema gewidmeten Übersichtsartikeln in Frage gestellt, vielmehr wird der indizierte Einsatz dieses Gases empfohlen (1). Während auf eine Vielzahl von Kontraindikationen hingewiesen wird, fehlt in den Übersichtsarbeiten eine präzise Definition der Fälle, in denen Lachgas zum Vorteil der Patienten eingesetzt werden könnte.

In der klinischen Praxis erweist sich die Durchführung von Inhalationsnarkosen ohne Lachgas als überaus einfach und unproblematisch (2): Der bei Verzicht auf den Einsatz von Lachgas fehlende analgetische Effekt ist durch eine Erhöhung der additiv gegebenen Opioiddosis, der fehlende hypnotische Effekt durch eine Steigerung der Konzentration der Inhalationsanästhetika um nur 0,2 bis 0,25 % des MAC-Wertes des jeweiligen Narkosemittels zu kompensieren (3). Da nur noch Sauerstoff und das geringe Volumen des Narkosemitteldampfes vom Patienten aufgenommen werden, nimmt der Gesamtgas-Uptake merklich ab, so daß das Überschußgasvolumen, und damit das im Atemsystem zirkulierende Gasvolumen auch bei Einstellung sehr niedrigen Frischgasflows zunimmt.  Durch den Fortfall der Lachgasaufnahme ist das Narkosesystem nach Verminderung des Frischgasflows - auch wenn mit einem Frischgasfluß von nur 0,5 l/min gearbeitet wird - deutlich besser gefüllt als bei den Niedrigflußnarkosen, die mit einem Sauerstoff-Lachgas-Trägergasgemisch durchgeführt werden. Das Risiko des Auftretens von Gasvolumenimbalancen nimmt ab. Die Denitrogenisierung des Systems ist, ebenso wie das Einwaschen einer gewünschten Lachgaskonzentration im gesamten gasführenden System  nicht mehr erforderlich, so daß die Initialphase der Niedrigflußnarkosen, während der mit einem hohen Frischgasfluß gearbeitet werden muß, vergleichsweise kurz gehalten werden werden kann. Ihre Dauer wird nur mehr durch die Einwaschcharakteristik des Inhalationsanästhetikums bestimmt. Bei Einsatz von Narkosegeräten der neueren Generation, die mit hochdichten Kompaktatemsystemen ausgerüstet sind, ist gar die Durchführung von Nakosen mit geschlossenem System im Routinebetrieb möglich (3,4), wobei der Frischgasfluß nach Beendigung der Initialphase auf das Sauerstoffvolumen reduziert werden kann, das vom Patienten aufgenommen wird. Dies läßt sich mit der Brody-Formel einschätzen und beträgt bei einem normgewichtigen erwachsenen Patienten etwa 250 ml/min. Bei einem so niedrigen Frischgasfluß wird allerdings die Grenze der Abgabeleistung der in den Frischgasstrom eingeschalteten konventionellen Verdampfer erreicht, die in der Regel auf einen Wert begrenzt ist, der dem 3 bis 5-fachen des MAC-Wertes des jeweiligen Anästhetikums entspricht. So ist es kaum möglich, bei einem erwachsenen Patienten nach einer Flowreduktion auf 0,25 l/min eine exspiratorische Isoflurankonzentration von 1,2 % aufrecht zu erhalten. Die neuen Inhalationsanästhetika geringer Löslichkeit, Sevofluran und Desfluran, sind für den Einsatz bei Frischgasflows in der Größenordnung des Sauerstoffverbrauches deutlich besser geeignet (5). Mit den zur Zeit zur Verfügung stehenden Modulen zur Dosierung von Inhalationsanästhetika können nur Isofluran, Sevofluran und Desfluran bei Narkosen mit geschlossenem System eingesetzt werden. Eine Beschränkung der Frischgasflussminderung auf minimal 1,0 L/min beim Einsatz von Sevofluran wegen der möglichen Anreicherung von Compound im Atemsystem ist nach aktuellem Stand der wissenschaftlichen Diskussion nicht länger gerechtfertigt (6). Dies gilt um so mehr, wenn alkalimetallhydroxidfreie, nicht-kaustische Kohlendioxidabsorbentien eingesetzt werden (6,7). Die aus dem Mehrverbrauch von Opioiden und Inhalationsanästhetika resultierenden Kosten werden durch die Einsparungen, die sich aus dem Verzicht auf Lachgas ergeben, kompensiert - allerdings nur bei konsequenter Nutzung der Rückatmungstechnik und routinemäßiger Durchführung von Minimal Flow - oder Narkosen mit geschlossenem System (3,4). Darüberhinaus werden weitere Kosten eingespart, die  sich aus der technischen Wartung der zentralen Gasversorgungsanlage für Lachgas und die nach einer Gefährdungsbeurteilung gegebenenfalls zu fordernde Messung der Arbeitsplatzkonzentration mit Lachgas durch ein zertifiziertes Institut ergeben.

Bei der Vielzahl der gerechtfertigten Argumente gegen den Einsatz von Lachgas, dem Fehlen einer begründbaren Notwendigkeit zum Einsatz dieses Gases und der klinischen Erfahrung, daß der Verzicht auf Lachgas einfach, bei konsequenter Nutzung der Rückatmung kostenneutral und darüberhinaus ökologisch sinnvoll ist, sollte konsequent auf den Einsatz von Lachgas völlig verzichtet werden. Durch den Verzicht auf Lachgas lässt sich darüber hinaus, bei erheblicher Vereinfachung der Narkoseführung mit niedrigen Frischgasflows, die Effektivität von Inhalationsnarkosen nochmals deutlich steigern.
 

1. James MFM. Nitrous oxide: still useful in the year 2000? Curr Opin Anaesthesiol 1999; 12: 461-466

2. Baum J, Sievert B, Stanke HG, Brauer K, Sachs G. Lachgasfreie Niedrigflussnarkosen. Anaesthesiol Reanimat 2000; 25: 60-67

3. Röpcke H, Schwilden H. Interaction of Isoflurane and Nitrous Oxide Combinations Similar for Median Electroencephalographic Frequency and Clinical anesthesia. Anesthesiology 1996; 84: 782-788

4. Baum JA. Nitrous oxide: Use in low-flow systems / economics . In: Tonner PH, Scholz J (eds.) Use of Nitrous Oxude un Anaesthesia. Baillière´s Best Practice & Research. Clinical Anaesthesiology 2001; Vol. 15, No. 3: 77-388

5. Sievert B, Baum J. Niedrigflussnarkosen mit Sevofluran und Desfluran. In: Martin E, Böhrer H (Hrsg.) Fortschritte in der Inhalationsanästhesie. Bremen, Uni-Med Verlag, 2002, 85-96

6. Baum JA, Whoelck H. Interaction of inhalational anaesthetics with CO2-absorbents. In: Conzen P (ed.) Toxicity of Anaesthetic Agents. Baillière´s Best Practice & Research. Clinical Anaesthesiology; in press

7. Baum J, Van Aken H. Calcium hydroxide lime - a new carbon dioxide absorbent: a rationale for judicious use of different absorbents. Europ J Anaesth 2000; 17: 597-600

 
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