Chemische Interaktionen im Atemkalk
Jan Baum
Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin
Krankenhaus St. Elisabeth-Stift, 49401 Damme





Der klassische Atemkalk, Natriumhydroxidkalk, besteht aus etwa 75-85% Kalziumhydroxid, 14-18% Wasser, 1-4% Kalium- und 1-4% Natriumhydroxid. Die Beimischung von Alkalimetallhydroxiden dient der Beschleunigung der Kohlendioxidabsorbtion. Alle Inhalationsanästhetika können mit diesem Atemkalk unter Degradation oder Absorption reagieren, wobei die Reagibilität bei Austrocknung des Kalks erheblich zunimmt. Inhalationsanästhetika, die eine Difluoromethoxy-Gruppe tragen, reagieren mit völlig ausgetrocknetem Atemkalk unter Bildung von Kohlenmonoxid. Die Reagibilität von Desfluran ist dabei erheblich höher als die von Enfluran oder Isofluran. Schon bei geringem Wassergehalt nimmt die Kohlenmonoxidbildung jedoch deutlich ab, und wenn Natriumhydroxidkalk eine Restfeuchte von nur 4,8% hat, ist sie völlig unterbunden. Die Kohlenmonoxidbildung ist nicht abhängig vom Frischgasflow, auch bei langdauernden Niedrigflußnarkosen nimmt die COHb-Konzentration im Blut nur unwesentlich zu. Halothan und - erheblich heftiger - Sevofluran werden an ausgetrocknetem Atemkalk völlig destruiert, wobei neben vielen bislang nicht identifizierten Stoffen Haloalkene, Methanol und Formaldehyd gebildet werden. In einzelnen Komplikationsfällen sind klinisch relevante Reizungen der Atemwege und Störungen des pulmonalen Gasaustausches aufgetreten. Es sind deshalb alle Maßnahmen zu treffen, mit denen ein akzidentelles Austrocknen des Atemkalkes verhindert werden kann. Halothan, und - wiederum erheblich lebhafter - Sevofluran reagieren aber auch mit normal feuchtem Natriumhydroxidkalk: Halothan unter der Bildung von BCDFE, Sevofluran unter Bildung von Compound A. Höhere Belastungen mit Compound A führen bei Ratten zu Nierenschäden, wobei seit Jahren kontrovers diskutiert wird, ob diese Ergebnisse für die Klinik relevant sind. Die Belastung mit Compound A kann bei langdauernden (> 2-3 Std.) Sevoflurannarkosen mit sehr niedrigen Frischgasflows durchaus Werte von 150-200 ppmh überschreiten, die von machen Autoren schon als toxische Grenzwerte beim Menschen angesehen werden. Die Beimischung von Alkalimetallhydroxiden zum Atemkalk ist für die chemische Reaktion der Inhalationsanästhetika mit den Absorbentien verantwortlich. Durch den Verzicht auf die Beimischung von Kaliumhydroxid kann die Degradation der Anästhetika – zumal bei Austrocknung des Atemkalks – zwar erheblich vermindert werden, doch auch bei Einsatz von kaliumhydroxidfreiem Natriumhydroxidkalk, der ausschließlich heute in Deutschland angeboten wird,  wurden weiterhin nenneswerte  Compound A - Konzentrationen gemessen. Erst durch den völligen Verzicht auf die Beimischung von Alkalimetallhydroxiden, wie sie beim Kalziumhydroxidkalk realisiert wird, wird die chemische Reagibilität der Absorbentien drastisch vermindert. Kalziumhydroxidkalk (Amsorb, Armstrong Medical und Superia, Molecular Products) reagiert weder in ausgetrocknetem Zustand noch bei normaler Feuchte mit den Inhalationsanästhetika. Die Absorptionskapazität beträgt etwa 2/3 der Absorptionskapazität von kaliumhydroxidfreiem Natriumhydroxidkalk und genügt damit vollauf den Ansprüchen der Praxis.

Murray JM et al.: Amsorb: A new carbon dioxide absorbent for use in anesthetic breathing systems. Anesthesiology 1999; 91: 1342-1348
Baum J, Van Aken H: Die Wahl des „richtigen Atemkalks“. Anaesthesiologie & Intensivmedizin 2000; 41: 648-652

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