Veränderungen bei modernen
Narkosearbeitsplätzen
Verzicht auf Lachgas in Sicht
Die Mehrzahl der in den Kliniken eingesetzten Narkosegeräte
wird
durch zentrale Gasversorgungsanlagen
mit medizinischen Gasen -Sauerstoff, Lachgas und Luft - versorgt. Seit
1. Januar 2000 gelten die deutlich
erhöhten Anforderungen der Europäischen Pharmakopoe an die
Reinheit und Qualität der Luft für
medizinische Anwendung. Somit steht die zentrale Gasversorgungsanlage
fur Luft zu Beatmungszwecken
unter der Aufsicht und Kontrolle des Krankenhausapothekers.
Bislang fehlen jedoch jedwede
Ausführungs-
und Übergangsbestimmungen, so dass zu vermuten bleibt, dass
vielerorts
die zentralen Versorgungsanlagen fur medizinische Druckluft nicht den
aktuellen
Anforderungen genügen. Eine weitere Absurdität ist die
Tatsache,
dass nahezu alle technischen Details der Komponenten zur Gasversorgung
der Narkosegerate bereits in europäisch harmonisierten technischen
Teilnormen (EN 737, 738 und 739) festgelegt sind, die Norm prEN 737-6
aber,
welche die gasartenspezifische Geometrie der Gasentnahmestellen und
-stecker
definiert, von den europäischen Staaten nicht ratifiziert wird, so
dass hier weiterhin die differenten nationalen Normen gelten. Es wird
den
Betreibern und Anwendern von Narkosegeräten nicht zu vermitteln
sein,
nun, nach Ablauf der Übergangsfristen, mit erheblichem
Kostenaufwand
die geräteseitige Gasversorgung - ohne jedweden weiteren Gewinn an
Patientensicherheit - partiell an ein Mixtum von alten nationalen und
neuen
europäischen Normen anpassen zu müssen. In kleineren
operativen
Einheiten werden medizinische Gase in Gasflaschen bevorratet, die in
der
Regel an der Rückseite der Narkosegeräte angeflanscht werden.
Fin Verwechsein wird durch gasartenspezifische Profilierung der
Flaschenanschlüsse
mittels NIST-Verbindungen unmöglich gemacht. Jeder signifikante
Druckabfall
in der Sauerstoffversorgung muss ein geräteseitiges
Sauerstoffmangelsignal
auslösen und gleichzeitig durch Aktivierung der Lachgassperre
jeden
weiteren Lachgasstrom zum Patienten unterbrechen.
Gasdosiereinrichtung
Die Gasdosiereinrichtung besteht in der Regel aus einem Dosierventil
mit nachgeschalteter Durchflussmessröhre. Neuere
Narkosegeräte
sind meistens mit Gasdosiereinrichtungen für die drei
medizinischen
Gase Sauerstoff, Lachgas und medizinische Luft ausgerüstet. Die
Ausrüstung
mit einer zusätzlichen Niedrigflussmessröhre (1,0 - 0,1
1/min)
fur jedes Gas sollte heute Standard sein. Ist neben einer
Dosiereinrichtung
für Sauerstoff eine solche für Lachgas vorhanden, so verlangt
die technische Norm eine Sauerstoffverhältnisregelung, d. h. eine
Koppelung beider Gasflows dergestalt, dass die Finstellung einer
Frischgas-Sauerstoffkonzentration
unter 25 Prozent unmöglich ist. Bei nur wenigen
Narkosegeräten
wird der Gasstrom elektronisch gemessen und digital angezeigt oder gar
elektronisch geregelt.
Modul zur Dosierung der Anästhetika
Bei der Durchführung von Inhalationsnarkosen wird dem Frischgas nach Passage der Gasdosiereinrichtung das Inhalationsanästhetikum in einem üblicherweise „Verdampfer“ genannten Modul zugemischt. Halothan, Enfluran, Isofluran und Sevofluran werden - technisch korrekt - mittels kalibrierter OberfIächenverdunster (ohne weitere Energiezufuhr) dosiert. Desfluran wird wegen seines niedrigen Siedepunktes zuerst mittels Erwärmung verdampft und dann dem Frischgas zugemischt, technisch handelt es sich hier wirklich um einen Verdampfer. Bei Ausrüstung eines Narkosegerätes mit mehreren Verdampfern muss durch eine entsprechende technische Einrichtung sichergesteilt sein, dass jeweils nur ein Anästhetikum dosiert werden kann. In nur wenigen Geräten wird eine elektronisch gesteuerte Dosierung durch Einspritzung von definierten Quanta des flüssigen oder dampfförmigen Anästhetikums in den Frischgasstrom oder direkt in das Atemsystem realisiert.
Bei Durchführung intravenöser Anästhesien werden die
Anästhetika entweder intermittierend manuell oder kontinuierlich
mit
Infusionsspritzenpumpen intravenös appliziert. Diese Pumpen
müssen
mit hoher Präzision die eingestellte Förderrate injizieren
und
bei etwaiger Okklusion in der Zuleitung der Vene einen entsprechenden
Alarm
aulösen. Bei kontinuierlicher intravenöser Applikation werden
bevorzugt kurzwirksame und damit gut steuerbare Substanzen eingesetzt.
Bei der Target Controlled Infusion (TCI) erfolgt die Steuerung der
Dosierung
mittels Steueralgorithmen, die die pharmakokinetischen Eigenschaften
der
eingesetzten Anästhetika, deren Konfektionierung und individuell
einzugebende
antropomorphe Kenndaten des Patienten berücksichtigen, wodurch
eine
errechnete Zielkonzentration der Medikamente im Blut der Patienten
erreicht
werden soll. In neuerer Zeit werden Stand-alone-Geräte zur
Durchfuhrung
intravenöser Narkosen angeboten, es gibt aber auch Ansätze,
solche
Module zur Dosierung intravenöser Anästhetika zusatzlich in
die
lnhalationsnarkosegeräte zu integrieren.
Narkosesysteme und Narkosebeatmungsgeräte
Narkosesysteme sind die interaktiven Schnittstellen zwischen den Modulen zur Frischgaszubereitung und den Patienten. Hier wird aus wechselnden Anteilen von Frischgas und unverbrauchten Anteilen der Ausatemluft das Narkosegas zusammengemischt, das dem Patienten in der Einatemphase zugeleitet wird. Unter technischen Aspekten ist zwischen NichtRückatemsystemen und Rückatemsystemen zu unterscheiden. Die überwiegende Mehrzahl aller Narkosegeräte ist heute mit Rückatemsystemen ausgestattet. Dadurch wird die Nutzung der in der Ausatemluft noch enthaltenen unverbrauchten Narkosegase möglich. Die Vorteile der Rückatmung sind die Verminderung des Narkosemittel- und Narkosegasverbrauches, die daraus resultierende Kosteneinsparung, die Verminderung der Umweltbelastung mit Narkosegasen und die verbesserte Anfeuchtung und Anwärmung der Gase. Nur bei Durchfüihrung von Niedrigflussnarkosen lassen sich diese Vorteile wirklich realisieren.
Narkosebeatmungsgeräte dienen der Beatmung des betäubten
Patienten.
In der Mehrzahl aller Routinefälle ist eine volumenkonstante
intermittierende
Überdruckbeatmung (IPPV), gegebenenfalls mit
positiv-endexspiratorischem
Druck (PEEP), ausreichend. Nur bei vorbestehender Lungenerkrankung und
in der Kinderanästhesie können komplexere Beatmungsformen und
-muster oder die druckgesteuerte Beatmung (PCV) indiziert sein,
für
spontan atmende Patienten ist eine maschinelle Atemunterstützung
wünschenswert.
Eine Frischgasflowkompensation ermöglicht die Einstellung des
Beatmungsvolumens
unabhängig vom Frischgasflow, das Narkosegasreservoir dient der
raschen
Kompensation etwaiger kurzfristiger Volumenimbalancen, beides ist bei
Durchführung
von Niedrigflussnarkosen vorteilhaft.
Monitoring
Das Monitoring, das der Überwachung der Gerätefunktion dient, ist - abhängig vom Ausrüstungsstand und Aufbau des Narkosegerätes - in der europäischen Norm EN 740 festgeschrieben. Es umfasst die kontinuierliche Überwachung der inspiratorischen Sauerstoffkonzentration, die kontinuierliche Überwachung des Atemwegsdrucks, die Überwachung des ausgeatmeten Gasvolumens, der Kohlendioxidkonzentration und der Konzentration der Inhalationsanästhetika im Atemgas. Wenn ein Narkosegerät mit einem Narkosebeatmungsgerät ausgerustet ist, so muss es mit einer Alarmeinrichtung für den Fall einer Diskonnektion ausgestattet sein. Das geräteseitige Monitoring in diesem Umfang ermöglicht die sichere Durchführung von lnhalationsnarkosen mit auch niedrigstem Frischgasflow und damit eine Optimierung der Effektivität dieses Narkoseverfahrens.
Entsprechend der Empfehlung der berufsständischen und
wissenschaftlichen
Organisationen gelten in Deutschland folgende Parameter der
Patientenüberwachung
- unabhängig vom Betäubungsverfahren - als unverzichtbar: das
kontinuierlich abgeleitete EKG, die
regelmäßig-intermittierende
oder kontinuerliche Blutdruckmessung und die Messung des
Sauerstoffgehaltes
des Blutes mittels Pulsoximetrie. Eine Möglichkeit zur
Überwachung
der Körpertemperatur und der Tiefe der neuromuskulären
Relaxation
hat verfügbar zu sein. Die Durchführung hochkomplexer
operativer
Eingriffe kann - eingriffs- oder disziplinspezifisch - die
Überwachung
weiterer Parameter und damit zusätzliches, gegebenenfalls auch
invasives
Monitoring erforderlich machen.
Perspektiven
Zurzeit gibt es fundierte Überlegungen, auf den - zumindest den routinemäßigen - Einsatz von Lachgas als Bestandteil des Trägergases zu verzichten. Lachgas ist mitnichten als inertes Gas zu bezeichnen: Es gibt vielfältige Kontraindikationen, unter okologischem Aspekt wäre der Verzicht auf Lachgas ebenfalls begrüßenswert, und der Beitrag von Lachgas als Bestandteil der Kombinationsnarkose scheint eher von untergeordneter Bedeutung zu sein. Der Verzicht auf Lachgas hat erhebliche medizintechnische Konsequenzen: Die Anlagen zur zentralen Versorgung mit Lachgas, deren technische Wartung, die Lachgaslogistik und die vorgeschriebene Messung der Arbeitsplatzkonzentration mit Lachgas werden überflüssig. Bei der zukünftigen Narkosegerätegeneration könnte auf die Ausstattung mit einer Gasdosiereinrichtung für Lachgas und die spezifisch auf dem Einsatz von Lachgas beruhenden Anteile der Sicherheitsausstattung verzichtet werden.
OP-Neubauten werden heute bereits vielfach ohne zentrale Lachgasversorgung errichtet, wobei empfohlen wird, zusätzIich zum benötigten Rohrsystem zur zentralen Versorgung mit medizinischen Gasen ein Leerrohr vorzusehen, das verschlossen hinter der Wandabdeckung endet. So kann gegebenenfalls ein weiteres medizinisches Gas kostengünstig in die zentrale Versorgung aufgenommen werden. Der Verzicht auf Lachgas ermöglicht eine weitgehende Steigerung der Effizienz von Inhalationsnarkosen. Es wird dem Narkosegas - neben der volumenmäßig zu vernachlässigenden Menge an Inhalationsanästhetika - nur noch das Gasvolumen entnommen, das dem Sauerstoffverbrauch des Patienten entspricht (etwa 200 - 300 ml/min). Es wird die Realisierung von Inhalationsnarkosen mit geschlossenem System auch bei Einsatz konventioneller Narkosegeräte möglich und die Effizienz dieses Narkoseverfahrens auf nahezu 100 Prozent gesteigert. Allerdings werden bei solch niedrigen Frischgasflows die Grenzen der in den Frischgasstrom eingeschalteten Verdunster bzw. Verdampfer erreicht: Es lassen sich nicht mehr die Volumina an dampfförmigen Inhalationsanästhetika in das Narkosesystem einspeisen, die nötig sind, um die erforderlichen Anästhetikakonzentrationen im Atemsystem zu etablieren oder aufrechtzuerhalten. Für die Zukunft ist die frischgasflowunabhängige Dosierung der Anästhetika in flüssiger oder gasförmiger Form direkt in das Atemsystem mittels Mikrodosiersystemen zu fordern. Die Applikationstechnik von Inhalationsanästhetika wäre dann quantitativ und würde der Applikation von intravenösen Anästhetika nach dem Konzept der Target Controlled Infusion entsprechen. Dies aber mit dem ganz wesentlichen Vorteil, dass die in realiter erreichten Anästhetikakonzentrationen bei der Inhalationsanästhesie kontinuierlich gemessen, überwacht und den individuellen Gegebenheiten angepasst werden können, wohingegen man sich bei der TCI auf den Dosieralgorhythmus ohne die Möglichkeit einer Kontrolle verlassen muss.
Die Wirtschaftlichkeit des Einsatzes sowohl intravenöser als
auch
der Inhalationsanästhetika konnte des
Weiteren durch den Einsatz von Neuromonitoring gesteigert werden, da
eine Anpassung der Anästhetikadosis an den tatsächlichen
individuellen
Bedarf ohne erhöhtes Risiko des Auftretens intraoperativer
Wachphasen
vorgenommen werden könnte. Es ist zu erwarten, dass die
Uberwachung
der Narkosetiefe - etwa mittels Überwachung des Bispektralindex
(BIS)
- in Zukunft obligatorisch wird.
Wegen der unerwünschten und potenziell die Patienten
gefährdenden
Reaktionen der Kohlendioxid-
absorbentien mit den Inhalationsanästhetika werden
alkalimetallhydroxidfreie,
nicht-kaustische Absorbentien den klassischen Atemkalk (Natriumkalk)
als
Kohlendioxidabsorbens verdrängen. Der Verzicht auf den Einsatz von
Lachgas macht auch die Entwicklung alternativer Techniken der
Kohlendioxidelimination
mittels Molekularsieben oder Membranseparation moglich.