Erschienen in "Das Krankenhaus"
Luft zur medizinischen Anwendung
Baehr, M., Juditzki, I., Das Krankenhaus 10, 900-991
(2001)
In vielen Deutschen Krankenhäusern wird derzeit gegen das geltende EU-Recht verstoßen, denn kaum ein Krankenhaus ist in der Lage, aufgrund der angespannten finanziellen Situation, den Qualitätsansprüchen des Europäischen Arzneimittelbuches für medizinische Druckluft zu entsprechen.
Bereits im Januar 1998 erschien ein Nachtrag zum Europäischen Arzneimittelbuch (Pharmacopeia Europaea) der Druckluft als "Luft für medizinische Anwendungen" und somit als Arzneimittel beschreibt. An Arzneimittel sind höhere Anforderungen an Qualität und Reinheit gestellt, als dies in der DIN EN 737-3 der Fall ist. Diese Norm, gültig seit November 1998, enthielt ebenfalls Anforderungen an die "Druckluft für Beatmungszwecke".
Da nun zwei Rechtslagen für die Druckluft bestanden, haben sich die meisten Krankenhäuser dahingehend entschieden, als Maß für die Anforderungen ihrer Druckluft weiterhin die DIN EN 737-3 zu beachten, da auch hier Grenzwerte für Schwebestoffe, Luftfeuchtigkeit und Temperatur etc. definiert waren. Um diese Koexistenz zweier Rechtslagen zu beenden, sind in der Neufassung der DIN EN 737-3 vom Januar 2000 die entsprechenden Passagen über "Druckluft zu Beatmungszwecken" gestrichen worden. Damit wird medizinische Druckluft jetzt durch die Monographie des Europäischen Arzneimittelbuches geregelt. Diese Reinheitsanforderungen an die medizinische Druckluft weichen jedoch erheblich von der DIN EN 737-3 ab. Für die Krankenhäuser sieht es so aus, dass jetzt plötzlich ohne Übergangsfrist und ohne jegliche Vorgaben für den Umgang mit bereits bestehenden Anlagen nun die Forderungen des Arzneimittelrechtes durchgesetzt werden müssen. Das Produkt "medizinische Druckluft" hat ohne großes Aufsehen zu erregen und ohne Reaktionszeit für die Krankenhäuser den juristischen Zuordnungsbereich gewechselt.
In der Tabelle sind die Anforderungen medizinischer Druckluft nach dem Europäischen Arzneimittelbuch den alten Anforderungen der DIN EN 737-3 gegenüber gestellt. Wesentlich veränderte Reinheitsmerkmale sind die drastische Reduzierung des Ölgehaltes, die Absenkung des Taupunktes (Wasserdampf) auf –46 ºC, sowie die Festlegung von Grenzwerten für Schwefeldioxid, Stickstoffmonoxid und Stickstoffdioxid.
Anfragen an das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) blieben bis dato insofern ergebnislos, als sich das BMG nicht für die Problematik in den Krankenhäusern verantwortlich fühlt:
"Atemluft in Krankenhäusern unterliegt den Anforderungen zum Schutz des Patienten der Vorschrift der Monographie "Luft zur medizinischen Anwendung" des Europäischen Arzneibuches des Nachtrages 2000, die nach dem Arzneimittelgesetz rechtsverbindlich ist. Die Beratung des Monographie-Entwurfes erfolgt über mehrere Jahre. Dass diese Beratungen liefen, war öffentlich bekannt. Zudem waren die für den Krankenhausbereich betroffenen Kreise, wie auch die anderen betroffenen Kreise beteiligt. Am 18.03.1999 wurde diese Monographie von der Europäischen Arzneibuchkommission beschlossen und dabei bereits auf den 01.01.2000 als den Termin für die Anwendung dieser Vorschrift hingewiesen. [...] Die rechtsverbindliche Umsetzung in deutsches Recht erfolgte mit der Bekanntmachung vom 18.04.2000 (Bundesanzeiger Seite 9083), die eine Übergangsfrist bis zum 01.08.2001 enthält.
Soweit Kompressoren und Anlagen nicht die rechtliche vorgeschriebene Qualität der Luft zur medizinischen Anwendung gewährleisten können, besteht die Möglichkeit der Nachrüstung. Da medizinische Luft zu den Arzneimitteln zählt, dürfte es keine Schwierigkeiten geben, zur Erfüllung der Arzneimittel und apothekenrechtlichen Vorschriften einen Apotheker mit dem neuen Aufgabenbereich zu betreuen, der dieser auch für die Versorgung mit den anderen Arzneimitteln zur Verfügung stehen muss." (Zitat eines Briefes des BMG an die DKG vom 01.06.2001).
Um den Qualitätsansprüchen des Arzneimittelrechts gerecht zu werden, sind erhebliche technische Aufrüstungen der zur Zeit im Betrieb befindlichen Anlagen erforderlich: Leistungsfähigere Trockner, weitere Filterstufen und aufwendige analytische Überwachungseinrichtungen müssen installiert werden. Aus wirtschaftlichen Gründen wäre es zudem ratsam, getrennte Verteilernetze für unterschiedliche medizinische Anwendungen wie Beatmung, Vakuum etc. vorzuhalten, da die Reinheitsansprüche nicht für alle Einsatzgebiete gleich hoch sind. Man kann bzw. muß demnach zwischen Druckluft zum Betreiben chirurgischer Werkzeuge und der Luft zum Zwecke der Beatmung unterscheiden. Ausschließlich im Falle der Anwendung eines Arzneimittels ist die Herstellungsprüfung durch das Arzneimittelgesetz bzw. unter den Bedingungen der Apothekenbetriebsordnung vorgeschrieben.
Arzneimittel sind gekennzeichnet durch ihre Zweckbestimmung: "durch Anwendung am oder im menschlichen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu erkennen oder zu verhüten". Zudem beinhalten sie einen phamakologischen, immunologischen oder metabolischen Wirkmechanismus. Beatmungsluft wird zwar sicherlich verstoffwechselt, dennoch ist die Zweckbestimmung im Sinne eines Arzneimittels fraglich.
Wenn man Atmung als aktive Aufnahme des lebensnotwendigen Stoffes Sauerstoff aus der Atemluft betrachtet, ist sie analog zum Verzehr von Nahrung zu sehen. Einem beatmeten Patienten wird Luft nicht zum Heilen, Lindern, Erkennen oder Verhüten einer Krankheit verabreicht, sondern um den lebensnotwendigen Verzehr von Sauerstoff zu gewährleisten. Somit sollte eine Änderung des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes angestrebt werden, um "Luft zur medizinischen Beatmung" als Lebensmittel einzustufen. Dem Argument, die Anwendung des Arzneimittelbegriffes sei dadurch gerechtfertigt, dass der Patient nicht selber atmet, sondern ihm die Luft zugeführt werden müsse, wird dadurch entkräftet, dass die Frage der aktiven oder passiven Aufnahme keinen Einfluss auf die Zweckbestimmung hat, solange das zugeführte Lebensmittel in das natürliche Kompartiment verabfolgt wird. Sondennahrung wird vom Patienten auch nicht aktiv verzehrt und bleibt dennoch Lebensmittel.
Wenn Luft nun zum Zwecke der Beatmung in Analogie zum medizinischen Sauerstoff angesehen wird, greifen nicht nur die Regelungen zur Prüfung, sondern auch die zur Arzneimittelherstellung. Arzneimittel dürfen nur unter den Bedingungen des Arzneimittelgesetzes hergestellt werden, d.h. es bedarf einer Herstellererlaubnis nach § 13 AMG, das Vorhandensein eines Herstellungs- und Kontrollleiters nach § 15 AMG und ggf. einer Zulassung nach § 21 AMG.
Die geltenden rechtlichen Vorschriften zur Arzneimittelherstellung in einer Apotheke sind nur schwer auf die Herstellung von Druckluft anzuwenden:
Im Gegensatz dazu kann Druckluft zum Betreiben von chirurgischen
Werkzeugen nur Medizinprodukt sein, da die Hauptzweckbestimmung nicht
auf
pharmakologische, immunologische oder metabolische Weise bewirkt wird.
Die Hersteller von medizin-technischen Anlagen und Geräten, die
mit
Druckluft betrieben werden, müssen nachweisen, dass ihre Produkte
den angegebenen Leistungsmerkmalen entsprechen. Hierzu ist die
Festlegung
auf eine genormte Luftqualität notwendig, die zur Zeit nur das
Europäische
Arzneibuch gibt. Der Betreiber muss sicherstellen, dass Luft dieser
Qualität
eingesetzt wird. Hier tritt ein weiteres Problem auf. Nach der 2.
Medizinproduktegesetz-Novelle
sind In-Haus-Produkte von dem Medizinproduktegesetz ausgenommen, d.h.
Medizinprodukte,
die im Krankenhaus hergestellt werden, unterliegen nicht mehr den
Vorschriften
des Medizinproduktegesetzes. Die In-Haus-Herstellung unterliegt somit
der
Gesetzgebungskompetenz der Länder und ist z.Zt. noch nicht
geregelt.
Eine Ursache dafür, dass die rechtlichen Anforderungen des
Arzneimittelgesetzes
für medizinische Druckluft noch vielfach nicht umgesetzt wurden,
ist
wohl der allgemeine Kostendruck bei allen Häusern. Da es bislang
keine
Berichte über negative Auswirkungen der Luftqualität nach DIN
EN 737-3 gibt, ist es schwer nachzuvollziehen, dass nun die
Maßstäbe
des Europäischen Arzneimittelbuches anzusetzen sind. Strittig ist
auch, ob der Grenzwert des Europäischen Arzneimittelbuches
bezüglich
des Wassergehaltes der Druckluft für die Beatmung überhaupt
sinnvoll
ist, da die Luft für die Beatmung wieder angefeuchtet werden muss.
Mit einer Einstufung von Druckluft als Arzneimittel ist nach Erkenntnis
der DKG nicht dem Patienten gedient - profitieren werden lediglich die
Hersteller von Gasen und den entsprechenden Aufbereitungsanlagen. Daher
hat die DKG in einem erneuten Schreiben das BMG darum gebeten, nochmals
nachdrücklich zu prüfen, insbesondere unter
Berücksichtigung
der angespannten Kostensituation in den Krankenhäusern, ob nicht
eine
Ausnahmeregelung für medizinische Druckluft vom Europäischen
Arzneibuch erreicht werden kann, bzw. ob diese durch Änderung des
Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes als Lebensmittel oder
Nahrungsergänzungsstoff eingestuft werden kann. Reinheitskriterien
für Druckluft für Atemzwecke finden sich in der DIN EN 12021.
Vorrangiges Ziel sollte es letztendlich immer sein, zu einer
wirtschaftlich
vertretbaren und realisierbaren Lösung zu gelangen ohne
Einbußen
bei der Patientensicherheit. Eine Gesetzgebung, durch die
ausschließlich
ein Industriezweig zu wirtschaftlichen Vorteilen gelangt, ohne dass
nachweislich
erkennbare Vorteil für die Patientensicherheit resultieren, muss
kritisch
beleuchtet und in Frage gestellt werden.
Bestandteile | DIN 13260-1
bzw.
DIN EN 737-3 |
DIN EN 12021 | Europäisches
Arzneibuch |
Öl | O,5 mg/m³ | 0,5 mg/m³ | 0,1 mg/m³ |
Wasser (H2O) | Drucktaupunkt +
5ºC
(Atm TP -25ºC) |
25-50mg/m³ je nach Nenndruck | 67 ppm
(Atm. TP -46ºC) |
Kohlenmonoxid (CO) | 5 ppm (ml/m³ | 15 ppm | 5 ppm |
Kohlendioxid (CO2) | 1000 ppm (ml/m³) | 500 ppm | 500 ppm |
Feststoffe | Filterklasse P3
Durchlassgrad von 0,01 % mit Paraffinölnebelprüfung DWS-Filter: 0,003% mit Prüfaerosol 1 (Ø 1 µm) |
Keine Angabe | Keine Angabe |
Schwefeldioxid (SO2) | Keine Angabe | Keine Angabe | 1 ppm |
Stickstoffmonoxid
(NO)
Stickstoffdioxid (NO2) |
Keine Angabe | Keine Angabe | 2 ppm |
Gegenüberstellung der Reinheitsanforderungen
verschiedener Normen an Druckluft
Anschriften der Verfasser:
Dr. Michael Baehr
Leiter der Apotheke des
Universitätsklinikums
Hamburg Eppendorf
Martinistr. 52
20246 Hamburg
Dr. Iris Juditzki
Referentin im Dezernat Personalwesen und
Krankenhausorganisation
der DKG
Münsterstr. 169
40476 Düsseldorf
Link zum Berufsverband Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA)